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Christophers Reisebericht IV – letzter Teil

28.08.2009

Große Aufregung hier. Heute bekommt mein Gastbruder Israel, der bei der Marine ist, seine neue Uniform verliehen. Seit ich wach bin wuseln die vier Frauen herum, schminken sich, probieren Schmuck an und bügeln sich auf dem Bett liegend die Haare. Ich habe weiter über die Geschichte Ecuadors gelesen und festgestellt, dass die 200 Jahre Unabhänigkeit, die vor zwei Wochen hier gefeiert wurden, eigentlich zu Unrecht gefeiert wurden, weil nach dieser ersten Unabhängigkeitserklärung in Quito am 10. Auguast 1809 dofort die alte Ordnung durch die Spanier wieder hergestellt wurde. Die endgültige Unabhängigkeit sollte dann erst 21 Jahre später eintreten.

Während ich das las klopfte es plötzlich an die Tür und drei Frauen und ein Baby platzten herein. Und alle sahen aus wie meine Gastschwester Raquel. Also sahen sie ebenfalls aus wie meine anderen zwei Gastschwestern und meine Mutter, weil die sich alle total ähneln.

Nach der Begrüßung – Küsschen hier, Küsschen da – ging es sofort weiter mit Schminken etc. Die Zeremonie war dann doch nicht wegen der Uniform, sondern weil die Waffen überreicht wurden. Wir kamen zu spät (warum wohl?), verpassten aber nichts.

Es war schrecklich. Blaskapelle, Hitze, Uniformen, Gelaber, Militarismus. Schrecklich. Und dann die ganzen Familienangehörgen, die vor Stolz und Freude fast zerflossen. Alle fein herausgeputzt und aufgesetzt. Schrecklich. Irgendwas kann doch in dieser Welt nicht stimmen, wenn das überreichen von Tötungswerkzeugen eine solche Rolle einnnimmt. Nein, nein, schön war es nicht. Und jetzt noch Essen mit diesen sieben Frauen, die zwar alle total nett sind, aber dann doch nur über Äußerlichkeiten reden. Und auch das nur oberflächlich.

29.08.2009

So, geschafft. Familie weg und (fast) freies Wochenende. Sitze wieder am wackelnden Esstisch, die Sonne knallt aufs Haus, der Schweiß rinnt in Strömen. Es sind gefühlte 45°C und in meinem Schweiß ertrinken die Ameisen. Achja, und unsere Hündin hier (Sissi) bekommt ihre Regel und überall sind Blutflecken. Lecker.

Ich habe jetzt übrigens auch kein eigenes Bett mehr, weil Israel nach der Waffenverleihung fünf Tage frei hat und auch in meinem Bett schläft. Das wäre ja auch ok, wenn er sich nicht immer diagonal legen würde und sein Kopf nicht auf meiner Schulter betten würde. Naja, ich hab heute nicht so gut geschlafen, aber dafür danach zwei Stunden schön Musik gemacht. Gleich geht’s vielleicht zum Fussball, leider in der prallen Sonne, und das, obwohl ich schon verbrannt bin. Aber Abreagieren muss auch mal sein, tut Not jetzt.

31.08.2009

So, Montagabend jetzt. Fussball am Samstag war gut und auch der Abend bei Sophias Gastfamilie hat Spaß gemacht. Wir haben Spiele in der Gruppe gespielt. Richtig interessant und lustig. Sonntag war auch ok, eine gute Probe (allerdings zur Hora Ecuadorianer, es sollte um 11 Uhr losgehen, ich war um 11.15 Uhr da und geprobt wurde erst um 12.15. Naja, Südamerika halt).

Danach Salsa-Tanzkurs bei mir, mit meiner Gastschwester. Auch sehr lustig, aber ich kann einfach nicht gut tanzen. Mist. Und neben meiner Gastschwester, die einfach mal echt gut tanzt, sehe ich aus wie ein typischer, steifer Deutscher. Woran das wohl liegen mag?

01.09.2009

Das Schreiben dieses Berichtes ist gerade nicht mehr so wichtig für mich. Irgendwie bin ich wohl schon so hier angekommen, dass ich das meiste verarbeiten kann, ohne zu schreiben. Außerdem habe ich weniger Zeit.

Gut, kurz zum Wochenende. Nach dem Tanzkurs kurze Reunion, dann Filme gucken bei einem Ecci, dann nach Hause. Auf dem Rückweg wurden meine Schwester, unsere zwei Begleiter und ich von uns Unbekannten verfolgt. Als wir unser Haus erreicht hatten gaben uns unsere Begleiter ihre Wertsachen, weil sie Angst hatten überfallen zu werden. Tatsächlich sind sie dann an den Männern vorbei gerannt und entkommen. Allerdings nur, um an der nächsten Ecke mit Pistolen bedroht zu werden. Glücklicherweise wurden sie dann aber als Freunde von Freunden der Diebe erkannt und ihnen ist nichts passiert. Aber die Gefahr ist irgendwie präsent.

Gestern dann Unterricht und Proben, war alles gut. Es geht auf die Konzerte zu, die Schüler haben sich die Batterien eingesetzt. Abends Geburstagsfeier meines Gastvaters (glücklicherweise Alkoholkonsum in Grenzen) und Reunion bei mir zu Hause. Spät ins Bett, morgens verschlafen, aber ist hier eh egal. Dann Reunion der Deutschen und Proben für das Konzert der Lehrer. Es wird zwei Schülerkonzerte (Do & Fr) und ein Lehrerkonzert (Sa) geben. Wir spielen u.a. einen Metalsong von Lordi.;-) Voll cool, ich spiele Bass und singe, pardon, schreie. Macht echt Spaß.

03.09.2009

Heute Konzert. Gleich Instrumente und Anlage abbauen und zum Konzertort bringen. Ich glaube das deutsch-ecuadorianische Kulturzentrum, bin gespannt.

Der letzte Unterrichtstag war gut. Bin irgendwie stolz. Was zwei meiner Trompetenschüler in den 3 ½ Wochen gelernt haben ist echt beeindruckend. Der eine wird ein Jazzduett und in einer Band spielen, der andere spielt die Filmmusik aus „Godfather“ und „Miserlou“, ein Klezmerstück.

05.09.2009

Samstag. Fast vorbei. Ich bin völlig fertig. Gestern bis tief in die Nacht die schönen Konzerte gefeiert. Aber heute morgen früh wieder Reunion, um die Abschiedsfeier und das Lehrerkonzert zu planen. Naja, wer feiern kann, der kann auch arbeiten. Aber erstmal zu Gestern und Vorgestern: Super schöne Konzerte. Was die Schüler nach vier Wochen auf die Beine gestellt haben war echt beeindruckend. Klar war vieles falsch und unsauber und manchmal musste neu angefangen werden, aber es war trotzdem eines der ergreifendsten Konzerte, die ich je gesehen habe. Mit was für einer Motivation und Begeisterung die Schüler dabei waren war echt super. Alles zu erzählen würde den Rahmen sprengen. Ich hoffe der Film, der hier gedreht wird, wird gut. Ich kann irgendwie noch nicht richtig schreiben, deshalb nur kurze Eindrücke. Die „Choclitos“, die Kinderband, war echt spitze. Der Sänger ist erst acht, sieht aus wie fünf und macht eine Show, als wäre er schon seit 30 Jahren Rockstar. Er stachelt das Publikum an mitzusingen, zu klatschen und zu tanzen und untermalt den Text mit ausdrucksstarken Gesten.

Jetzt ist gerade abends, ich musste abbrechen, weil ich los musste. Ich komme echt nicht mehr hinterher mit dem Schreiben. Also Kurzform: Konzerte: super, anstrengend, laut, viel, lang, facettenreich, erfüllend, traurig, lustig, schön. Ich war leider Tontechniker, konnte deshalb nicht so genießen. Zwischen den Konzerten Instrumententransport. Offener Kleinlaster, Instrumente und wir auf der Ladefläche, von Polizei angehalten weil verboten, fast Strafzettel, dann aber als Musiker ohne Grenzen erkannt worden, weil am Abend zuvor im Fernsehen gewesen und laufen gelassen. Voll cool. Sonst alles normal. Heute unser Lehrerkonzert, wird kurz und nicht so gut wie ich dachte weil wenig Vorbereitungszeit und schlechter Sound, egal. Danach Abschiedsfeier.

Hier hängen übrigens überall ungesicherte Stromleitungen rum. Und auch den frei schwebenden Lichtschaltern traue ich nicht so ganz. Später mehr. Essen jetzt, ne!

18.09.2009

Uff, da hab ich aber echt lange nicht geschrieben. Nicht, dass es nichts zu erzählen gibt – auf gar keinen Fall – es war eher so, dass so viel passiert ist, dass ich kaum Zeit hatte zu schreiben. Außerdem bin ich gerade völlig durch den Wind. So, erstmal zu jetzt: Marcus, Christoph und ich sitzen im Flugzeug nach Miami. Sieben Stunden Verspätung, Anschlussflug schon lange weg. Später mehr dazu. Es ist ungefähr 18.30 Uhr Ortszeit in Guayaquil.

Ok, chronologisch vom Lehrerkonzert an. Das Konzert war dann doch viel schöner als ich dachte und hat echt Spaß gemacht. Ich freue mich auf den Film. Direkt im Anschluss daran fand die Abschiedsfeier statt, auf der viel getanzt und viel geredet wurde. Ungefähr um 2.30 Uhr nachts stand ich auf dem Dach des Gebäudes, als es zu einem Tumult auf der Straße kam. Die Gruppe der Diebe, die an ihrer Straßenecke standen, stoben plötzlich auseinander und zwei Polizeiwagen rollten an und nahmen einen der Diebe fest. Danach kam es zu einer langen Diskussion zwischen den restlichen Dieben und der Polizei, man schien sich zu kennen. Angeblich soll verhandelt worden sein, wie viel bezahlt werden muss, damit der Festgenommene sofort wieder freigelassen wird. Aber man kam offensichtlich zu keiner Einigung, denn schließlich wurde er mitgenommen.

Am Sonntag war dann eine abschließende Feedbackrunde mit allen Schülern, die wieder sehr anstrengend aber positiv war. Montag endlich ging es dann an den Strand, was ich bitter nötig hatte. Echt heftig, weil ich sonst nie das Bedürfnis nach Urlaub-Urlaub habe. (Die Angewohnheit Wörter doppelt zu sagen, um ihren Sinn zu verstärken, habe ich erst hier kennen gelernt und ich finde sie klasse. Z.B. ist „Der Fänger im Roggen“ nicht nur ein Buch, sondern ein Buch-Buch. Urlaub-Urlaub bedeutet also in diesem Fall Entspannung, Schlafen, Essen, Baden, Lesen, Reden, Essen, Schlafen und so weiter.)

Wir sind also zu fünft in das Pseudohippiedorf Montanita gefahren. Der ständige Grasgeruch, das touristische Klientel und die aufgesetzten Hippies haben mich aber glücklicherweise nur am Rande gestört. Ich habe die Zeit genossen, mich entspannt und richtig tolle Gespräche geführt. Gespräche-Gespräche sozusagen. Leider wurden zweien von uns am Strand Geld, Geldkarten und Kleider geklaut, aber selbst das hat mich irgendwie nicht um meine Erholung gebracht. Am Freitag ging es dann wieder zurück in den Guasmo und am Samstag weiter nach Cuenca, Endziel: Chimborazo. Leider wurden Sophia und ich krank und Marcus und Hannah mussten alleine weiter nach Riobamba und auf den Chimborazo. Allerdings verließen wir Cuenca (das angeblich viel sicherer und schöner als Guayaquil ist) nicht ohne ausgeraubt zu werden. Ein Gast unserer Unterkunft, von dem wir dachten, dass er im Hotel arbeitet, ist morgens mit in der Nacht von der Rezeption geklauten Schlüsseln in die Zimmer eingedrungen und hat eine Menge Geld (von mir nicht 😉 ) und drei Fotokameras geklaut (meine nicht 😉 ). Mir fehlte allerdings mein Rucksack, meine Bücher, Rasierer, Geldkarte, Deo, Zahnbürste. Auch irgendwie doof, aber hey, was sind schon Dinge? Ich war selbst überrascht, dass mein Ärger ausgeblieben ist. Ich war nur enttäuscht, weil meine Menschenkenntnis und mein Menschenbild weiter angeknackst wurde. Der Typ, der am Vorabend das Klo geputzt hatte, war nämlich unglaublich nett. Also einfach aufmerksam, ohne aufdringlich zu sein. Er hat Sophia und mir Tee gebracht, hat angeboten Tabletten zu kaufen hat mit Hannah geschnackt und die Chimborazotour mitgeplant. Und außerdem hatte er zwei süße, kleine Babyhamster. Und dann dringt der Typ in unser Zimmer ein und klaut einfach unsere Sachen. Das geht doch nicht! Ich mein, hallo?!

Gut, aber die letzte Zeit in Cuenca war trotzdem toll und ich hab es genossen. Schlafen, Essen, spazieren gehen, essen, schlafen, Urlaub-Urlaub mit Gesprächen-Gesprächen.

Danach zurück in den Guasmo, sehr nett, aber irgendwie war es dann auch gut. Dann abschließend der Stress, dass unser Flug gecancelt wurde und man nicht wusste, ob wir am gleichen Tag abends oder am nächsten Morgen fliegen. Dann wurden wir in ein super Hotel einquartiert, haben super gegessen und um 15.15 Uhr bekamen wir Bescheid, dass wir um 16.00 Uhr zum Flughafen gebracht werden sollten. Der Flug ginge um 17.00 Uhr. Haha! Ein letztes mal Stress und zum Flughafen gehetzt, in Windeseile eingecheckt, durchleuchtet und geboardet. Ich war noch nie so schnell vom Bett im Flugzeug. Um 17.30 Uhr ging’s dann los. Das Flugzeig ist fast leer, wir haben keine Anschlussflüge und wissen nicht, wo wir schlafen und wann wir ankommen. Tja. Wenigstens bin ich satt und irgendwie auch glücklich.

Ich höre jetzt auch gleich auf zu schreiben und schlafe dann (bzw. ich versuche es, aber es klappt eh nicht, weil mein Kopf nicht zur Ruhe kommt, wie fast immer).

Abschließend nur noch: Das Projekt war / ist so super, die Zeit hier hat mich sehr viel weitergebracht, es war „urst“ anstrengend, aber völlig erfüllend. Ich bin froh nach Hause-Hause zu kommen und froh hier gewesen zu sein. Ich habe das Gefühl etwas sinnvolles getan zu haben und bin irgendwie total viel weitergekommen. Ach mann, ich kriege es jetzt auch nicht aufs Papier, wie es mir geht. Es war auf jeden Fall super. Danke, Welt, dass ich hier bin!

So, schlafen jetzt, ne?

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