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Und jetzt?

Du steigst in das Flugzeug, das dich ans andere Ende der Welt bringen soll. Du hast keinen Plan, weißt nicht wohin es geht, da ist Angst, Freude und ein Gefühl, was du nicht beschreiben kannst, weil du gar nichts mehr realisierst.
Dann steigst du aus und steigst ein, in deine neue Welt, plötzlich wird all das, was du dir schon hunderte Male auf Fotos angeguckt hast, was du dir schon hunderte Male in deinem Kopf vorgestellt hast, anders, als du jemals gedacht hättest. Plötzlich wird all das Teil deines Lebens und du fängst an, es zu genießen. Da gibt es den Schock, die Menschen, das Leben, zu Hause haben sich alle Vorhaben noch so einfach angehört, so unbeschwert, aber jetzt bist du hier, gar nicht mehr so mutig wie du dachtest, oder bildest du dir das ein?
Du lachst, du weinst, du lebst und kannst all das, was dich hier umgibt bald dein neues zu Hause nennen, denn es gibt Menschen, die dich lieben – Menschen, die du liebst. Sprichst zwar ihre Sprache nicht, aber ihr versteht euch und plötzlich seid ihr in derselben Sprache. Du merkst, dass du dich entwickelst, dass du dich traust, dass diese Vorhaben gemeinsam gar nicht so schwer sind, dass man keine Angst braucht und du fühlst dich wohl, weil du Halt hast.

Dann stehst du wieder am Flughafen, nach all den Höhen und Tiefen, vielleicht hast du dich verändert, vielleicht bist du die Alte, aber du merkst es nicht. Du merkst nur, wie du rausgerissen wirst, aus deinem neuen Leben, wie du nicht mehr weißt, wohin du gehörst. Du hast Angst, weil du vergessen hast, wie dein Land riecht, schmeckt, arbeitet und lebt – oder hast du es verdrängt? Du sprichst zwar die Sprache, aber sprichst du sie auch noch so wie vorher?

Du steigst in dieses Flugzeug, das dich wieder zurück ans andere Ende der Welt bringen soll. Du hast wieder keinen Plan, weißt nicht wohin es geht, wie es weitergeht und da ist Angst, Freude und dieses Gefühl, was du nicht beschreiben kannst, weil du gar nichts mehr realisierst.

Meine letzten Wochen waren nahezu unglaublich. Schwer zu beschreiben, aber ich probiere es mal der Reihe nach.

Februar

Obwohl man es doch eigentlich gewöhnt ist, bei dem Wort Februar, an Kälte zu denken, sah mein Februar mal ganz anders aus. Alle versuchen sich so gut wie möglich vor der Mittagssonne zu schützen und der Ventilator läuft gute 24 Stunden am Tag. Schon alleine wenn man nichts macht schwitzt man.
Das kaum auszuhaltende Wetter ist wahrscheinlich sehr anziehend für Urlauber aus Guayaquil, denn jedes Wochenende sieht es ungefähr gleich aus, der Strand (wie hält man es bei dieser Sonne am Strand aus?) und die Hauptstraße, die nach Guayaquil führt, ist gnadenlos überfüllt und am Sonntagabend tümmeln sich die Menschen nur so vor dem Busbahnhof, stehen in einer 2 Kilometer langen Schlange und hoffen alle, dass sie noch vor acht Uhr einen Bus kriegen. Wo kommen sie denn aber alle unter? Wahrscheinlich wieder bei irgendwelchen Cousins, Tanten, Großeltern, die Familien sind ja hier ziemlich groß und dadurch auch meistens im ganzen Land verteilt.

So viele Menschen in Playas zu sehen ist ungewöhnlich, aber mittlerweile hat man sich schon daran gewöhnt. Wir haben uns daran gewöhnt, die Stadt anscheinend noch nicht. Denn mehr Leute in Playas fordern auch mehr Strom und mehr Wasser und so kommt es in letzter Zeit immer öfter vor, dass es weder das eine noch das andere gibt.
Und dann ist es wieder so weit, endlich Ruhe auf den Straßen, endlich kann man sich im Centrum wieder unterhalten – Stromausfall!!! Wenn es kein Wasser gibt, ist es wiederum nicht so lustig. Wenn man Glück hat, weiß man vorher, dass heut das Wasser ausfällt, dann werden alle möglichen Behälter im Haus mit Wasser gefüllt, um Kochen zu können. Das Duschen in dieser Situation ist ziemlich lustig, daran könnte ich mich gewöhnen, naturgebunden, mit einem Wassereimer draußen im Garten, Betonhof, oder was auch immer.
Ja, aber in letzter Zeit war nicht nur viel Trubel im Centro, wegen der vielen Urlauber, sondern auch weil Wahlkampf für die Bürgermeisterwahl war. Hätte mir jemand in Deutschland gesagt, dass der Wahlkampf hier verrückt ist, hätte ich mir wohl niemals vorgestellt, dass er SO verrückt ist. Um es mal kurz zu fassen: Die Leute lassen sich ihre Häuser anmalen, alle rennen mit T-Shirts von den Parteien rum, es hängen riesige Plakate, die den Kandidaten mit erhobenem Daumen zeigen, im Zentrum und jeder Kandidat hat ein Wahlkampfhaus, aus dem 24/7 das selbst gedichtete Wahlkampflied tönt.

Manche Lieder bekomme ich immer noch nicht aus dem Kopf. Drei Tage vor der Wahl fing dann das Alkoholverbot (ley seca) an und es durfte keine Werbung mehr gemacht werden. Das ist schon recht seltsam, dass der Staat den Alkoholkonsum seines Volkes so stark unter Kontrolle halten muss, weil sonst kein ordentliches Wahlergebnis herauskommen würde. Normalerweise ist auch jeden Sonntag Alkoholverbot, damit die Leute montags arbeiten.

Ich habe mir dabei eigentlich nur gedacht „Wozu der ganze Aufstand, wird doch eh bestochen“. Und als hätte ich es nicht vorausgesagt, ist die Wahl natürlich nicht ganz reibungslos abgelaufen. An dem Tag habe ich meine Gasteltern zum Wählen begleitet (hier herrscht Wahlpflicht) und das sah ganz gut aus. Die Wahl fand in den Schulen der Stadt statt, Männer und Frauen wurden getrennt an verschiedene Wahlschalter geschickt und jeder wusste vorher zu welcher Nummer er musste. Na gut, an dem Punkt „geheim“ könnte man noch ein bisschen was verbessern, aber das nimmt man hier wohl eher locker.
So, alle haben gewählt, die Ergebnisse vieler Städte wurden schon am Abend bekannt gegeben, Playas war allerdings noch nicht dabei und jetzt beginnt das Verwirrende. Es wurden wohl verbrannte Wahlzettel gefunden, entweder von der Partei, die gewonnen hat, oder die Gegner, um Neuwahlen zu fordern. Am nächsten Tag wurde bekannt gegeben, dass die Partei 35, des Präsidenten in Ecuador gewonnen hat. Daraufhin folgten Proteste, mit Feuer auf der Straße und Straßensperrungen und es wurde debattiert, ob es Neuwahlen gibt oder nicht. Es war sehr schwierig dem ganzen als jemand, der es genau wissen will, zu folgen. Denn was man hier gut kann, ist, so tun als wüsste man was, aber eigentlich hat man keine Ahnung.

Somit wurden mir 1000 Geschichten erzählt, aber niemand wusste wirklich 100 % was los ist. Ich habe nicht einmal ein offizielles Statement gehört, bis sich irgendwann Mitte April alle einig waren und nur noch gesagt haben „Nein, es wird keine Neuwahlen geben“. Warum muss man es sich denn so kompliziert machen? Die Kommunikation in Ecuador ist eine Sache für sich und ich denke selbst nach 8 Monaten, blick ich da immer noch nicht ganz durch.

März

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Gerade in den letzten Wochen genießt man den Tag viel mehr als vorher, zumindest kommt es einem so vor. Man steht auf und der erste Gedanke ist „Warum zum Teufel ist es so heiß“, man frühstückt, lässt den Tag auf sich zukommen und wird von freudigen Gesichtern im Centro Intercultural empfangen, wenn man über die Bordsteinkante zur Einfahrt mit dem Fahrrad hochspringt und sich dann lässig die Rampe runterrollen lässt.
Der Unterricht läuft bei mir gerade eher chaotisch ab, so dass ich auch mal drei Schüler gleichzeitig habe. Eigentlich läuft das in Ecuador ja ganz gut, dann kommen zwei sowieso nicht und ich hab kein Problem, aber plötzlich kamen alle drei und ich war im Stress.

Du machst die Aufgabe, du machst Theorie, du gehst kopieren, ya mismo, ya mismo, geduld dich einen ratito. Die Leute nehmen das aber nicht so stressig auf, wie ich mich fühle, dieses Unorganisierte ist
man hier ja gewöhnt. Einige Neuigkeiten, die unser Projekt nicht langweilig und einschlafen werden lassen: ES KOMMEN NEUE FREIWILLIGE

Also neben Abholdiensten und neuen Schülereinschreibungen auch noch die große Aufgabe für uns: Wir brauchen Gastfamilien. Die Familien, in denen wir wohnen, sind nicht gerade Teil unseres Projektes. Das lief bisher nicht über die Schüler sondern eher so „Freunde von Freunden etc.“ Unsere Idee war es aber, Gastfamilien zu finden, die mit dem Projekt im Zusammenhang stehen, die davon profitieren, dass wir die Musikschule eröffnet haben, die uns kennen.

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Setzen wir doch einen Brief auf für unsere Schüler? Kurz vorgestellt und versprochen, dass wir regelmäßig Aktionen mit der Musikschule planen. Moment, wir können doch nicht einfach schreiben, dass wir Aktionen planen, wenn gerade gar nichts geplant ist. Machen wir doch eine Party, für alle Schüler und Familien. Und so kam es dazu, dass wir am 9.3.2014 im Centro Intercultural eine Party um 14 Uhr geplant hatten. Die Briefe wurden verteilt, die Schüler noch mal daran erinnert. Ich war ein bisschen im Stress -mist schon halb 3 ich komme viel zu spät. Aber ich komme an, und die einzigen, die schon da sind, sind die Mitglieder des Seniorenchores und Anne, die vor dem verschlossenem Tor stehen.

Noch einmal ein Hoch auf die Kommunikation. Es stand natürlich lange vorher fest, dass diese Party stattfinden soll. Doch auch hier haben wir anscheinend wieder den deutschen Perfektionismus angewendet und uns unnötig Stress gemacht und in Grund und Boden geschämt. Nach und nach trudelten immer mehr Leute ein, die das Essen für das Grillen schon dabei hatten und so gegen 4/halb5 kam dann heraus, dass der Laden gegenüber die Schlüssel hat.
Also wurde angefangen mit allen Leuten, das CIC zu schmücken und das Essen aufzubauen. Zu späterer Stunde wurde es richtig voll, wir haben bloß mit mehr Kindern gerechnet und uns Spiele für Kinder ausgedacht. Nun stand da aber der 20-köpfige Seniorenchor auf der Matte, mit denen man unmöglich Stehbock-Laufbock und Fangen spielen kann. Unsere Lösung: Wir spielen Eierlauf. Die Fiesta war ein richtiger Erfolg, das Essen war super lecker, es wurde Musik gemacht, getanzt, geprobt.

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Und das Ergebnis? 1, 2, 3, 4 – vier neue Gastfamilien, die bereit sind, hier Haus, ihre Familie und ihr Herz für einen deutschen Freiwilligen zu öffnen ☺ Tja, in Ecuador funktioniert dann irgendwie doch alles.

Eine nicht ganz so erfreuliche Nachricht: Ich musste am Fuß genäht werden. Karneval wurde hier ausgiebig gefeiert, aber verstehen wir uns nicht falsch, es wurde an sich nicht Karneval gefeiert, mit Verkleidungen und dem ganzen Schnickschnack, eigentlich wurde gefeiert, weil es einen Grund zu feiern und trinken gab. Das bedeutete natürlich auch, dass Playas mal wieder hoffnungslos überfüllt war und alle verrückt waren. Also kam es nun dazu, dass jemand beim Tanzen genervt von einer kaputten Glasflasche auf dem Boden war, sie weggetreten hat und ich spürte nur, dass ich plötzlich ein Loch in meinem Fuß hatte.
Nachdem ich die Disco ein wenig vollgeblutet habe sind wir direkt ins Krankenhaus gefahren und es wurde genäht. Die Krankenversorgung hier ist echt gut. Wenn ich ehrlich bin habe ich mir das Krankenhaus hier viel weniger ausgestattet vorgestellt, ohne richtige Ärzte. Aber es hat alles geklappt und außer, dass sich mein Fuß wegen des Schmutzes auf den Straßen entzündet hat und ich leider nur noch FlipFlops tragen kann, ist alles wieder super und ich kann wieder laufen, springen, tanzen, ohne dabei auf die Hilfe von irgendwelchen Menschen angewiesen zu sein, die mich tragen. Oder auf den Besen, der vorläufig als Krücke im Haus diente.

Ansonsten liefen die Wochen recht ruhig ab, der Unterricht wurde fortgeführt, die Proben fürs Konzert standen fest und der Seniorenchor wurde immer aufgeregter. Einige von den Freiwilligen waren noch mal reisen oder hatten Besuch. Am 15. März haben Anne, Insa und ich eine Schülerin von uns mit in die Universität begleitet und auch davon war ich sehr beeindruckt. Wir haben eine Vorlesung zu Philosophie und Zivilrecht angehört und eigentlich war ich regelrecht begeistert danach. Der Professor stand wirklich da vorne und ich habe aus seinem Mund diesen Satz gehört: „Männer haben nicht mehr Rechte als Frauen. Vor Gericht sind alle Menschen gleich.“ Er hat das Thema sogar noch ausgeführt und das hat mich beruhigt. Er ist einer der wenigen Männer, von denen man so etwas hören kann , denn die Männer aus dem Bibelcafe, in das wir durch eine Aneinanderreihung an Zufällen versehentlich gelandet sind, waren der Meinung, die Frau müsse sich doch bitte unter den Mann stellen, das steht doch so in der Bibel.
Ich erfahre es ja selber jeden Tag, mein Gastvater scheint der Chef des Hauses zu sein, die Frauen sind damit nicht einverstanden, aber sein Wort ist Gesetzt. Dann kommt dieser dahergelaufene Professor und behauptet das Gegenteil – danke, ich habe noch Hoffnung.

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Nach der Uni wollten wir noch einmal in den Guasmo. Durch die öffentlichen Verkehrsmittel in Guayaquil zu steigen ist ein wenig kompliziert, Ecuador eben, es fahren 100 Busse und niemand weiß so recht, welche Route eigentlich. Nach neun Monaten kann man sich doch aber in Guayaquil zurecht finden, haben wir gedacht. Das Metrovia-System ist zum Glück so, dass man einmal 25 ctv. bezahlt und dann ist man in dem Komplex drin und kann den Bus wechseln ohne neu zu bezahlen. So kam es dazu, dass wir es natürlich nicht alleine in den Guasmo geschafft haben, sondern uns total verfahren haben. Aber das ist ja nicht schlimm, eine Stadtrundfahrt für 25 ctv. findet man so schnell bestimmt nicht.
Irgendwann saßen wir dann am Terminal Guasmo Norte und nachdem uns ein paar Menschen darauf angesprochen haben, dass es sehr gefährlich sei, was wir hier machen kam irgendwann Robert und hat uns abgeholt. Denn ein ganz großer Denkfehler: Du findest dich im Guasmo nicht zurecht. Alles sieht gleich aus und ist riesig. Das haben wir vielleicht ein wenig unterschätzt. Am Ende sind wir aber angekommen, leben noch und wurden nicht überfallen.

Das letzte Konzert

„Al fin solo queda eso para decir: Gracias Playas, te quedas en nuestro corazon.“

Dieses Konzert lief etwas organisierter ab, als das Letzte. Vorher haben wir ordentlich Werbung gemacht, mit großen Plakaten und Flyern, damit viele Leute kommen. Ich spreche hier von dem letzen Konzert im Centro Intercultural, dabei gab es eigentlich drei. Unser Projekt hat sich vergrößert und durch die Hilfe von vielen Kontakten gab es auch noch zwei kleinere Konzerte, bei der Gemeinde und im Shopping-Center. Aber erstmal zu Sonntag, dem 23. März.

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Diesmal kamen alle Schüler zur Generalprobe und wie das halt so ist, hat alles, was in der Generalprobe nicht geklappt hat und total chaotisch war, im Konzert super geklungen. Alle Schüler von uns haben die Aufgabe gehabt, schwarz zu tragen und bekamen ein rotes Halsband, damit wir wie eine Gemeinschaft scheinen. Dann ging es auch schon los, José Luis fängt an zu moderieren und das Konzert lief erste Sahne. Keine zu lange Umbaupausen und eine schöne Atmosphäre. Klingt jetzt alles so einfach, aber die Momente, in denen man einem Nervenzusammenbruch nahesteht, habe ich jetzt mal weggelassen. (Stühle fehlten, Sound ging nicht richtig Improvisationstalent gefragt)
Und ich war so stolz, als meine Schüler gespielt haben. Die sind so gut geworden. Die Stück gingen von „Schlaf, Kindlein Schlaf“ über „Twinkle, Twinkle little Star“ bis hin zu „El Condor Pasa“, wo jeder mitgesummt hat. Dann kam die Dankesrede. Für unsere Gruppe der Deutschen, war das das letzte gemeinsame Konzert. Also haben Anne und ich eine Rede gehalten, mit viel Herz und Gefühl, so wie man es hier in Ecuador gerne hat, und haben unseren Freunden, Familien und vor allem den Leuten, die uns beim Projekt unterstützen gedankt.

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Ich war froh, dass wir diese Rede ohne Tränen hinter uns gebracht haben, doch auf das danach waren wir nicht vorbereitet. Im Gegenzug hielt der Leiter der Centros eine Rede für uns sechs Freiwillige und jeder hat ein selbstgemachtes Bild als Erinnerung bekommen. Dann kamen die Tränen, das Bewusstsein, dass es bald vorbei ist. Als ich dann beim letzten Lied „Vasija de Barro“ unseren Seniorenchor dirigiert habe, haben die plötzlich gar nicht mehr richtig singen können, weil sie weinen mussten. Als dann auch noch die Schüler nach und nach kamen und geweint haben, wusste man gar nicht mehr so recht, wo einem der Kopf steht. Dann aber kam der Satz, der alles gerettet hat: „Aber Jana, es ist doch schön, wenn man am Ende dieser Zeit, vor Freude weinen kann.“
Ja, das stimmt. Nach diesem Tag waren wir alle ganz schön stolz. Auf unsere Schüler, auf unser Projekt und auch auf unsere Gruppe.

April

Dann ging eigentlich alles relativ schnell. Die Woche nach dem Konzert habe ich keinen Unterricht gegeben und am Freitag ist Anne geflogen. Also haben wir noch mal alles ausgekostet, was Playas so zu bieten hat und haben uns zwischen Strand, den Häusern unserer Freunde und unserer Familie bewegt. Einen Morgen haben wir uns auf dem Cerro del Morro, ein großer Felsen, den Sonnenaufgang mit Blick auf Playas und Umgebung angeschaut. In solchen Momenten denkt man sich nur: „Was für ein Glück ist es eigentlich, auf der Welt zu sein.“

Dann sind wir mit Anne ab zum Flughafen, während Matthi sich um das Konzert bei der Gemeinde gekümmert hat. Die Erste, die von uns geht. Jetzt bloß nicht melancholisch werden, bloß nicht weinen. Ups, das war wohl nichts. Also der erste emotionale Abschied.
Am nächsten Tag das Konzert im Shopping. Wow, so viele Zuschauer hatten wir glaube ich noch nie. Wieder alle in Schwarz, mit rotem Bändchen. Diesmal hat alles geklappt, außer dass man von dem Sound in Ecuador wohl nie was schönes erwarten kann…
Unsere Herrschaften des dritten Alters waren auch richtig glücklich und es sind keine Tränen geflossen. Zur Belohnung eines guten Konzertes – ab ins Zentrum Salsa tanzen!

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Dann habe ich die Woche wieder mit Unterricht angefangen, meinen Stundenplan hatte ich aber leider verloren. Hat eh nichts mehr gebracht. Um meine Zeit richtig auszunutzen habe ich einfach jeden Tag probiert, alle meine Schüler zu unterrichten. Dementsprechend chaotisch lief das auch ab. Halbstündig, gleichzeitig, die üblichen Probleme. Ich wollte aber die Euphorie, die sich nach dem Konzert gebildet hat, nicht zerstören. Warum auch? In Ecuador klappt das alles schon irgendwie, mit der Terminplanung.

Ja, Terminplanung. Wie war das doch gleich mit der Kommunikation hier? Ein nettes Beispiel: Eines morgens bekam ich die erfreuliche Nachricht, dass der Termin für die Hochzeit meiner Gastschwester feststeht. Am 16. April. Moment mal, 16. April, das ist doch der Tag an dem ich gehe. Oh echt? Und wieder so ein Moment, wo mir bewusst wurde, dass ich selbst nach neun Monaten immer noch Probleme mit einigen Kulturaspekten habe. Wieso heiratet man mit 20 Jahren? Wieso steht der Termin zwei Wochen vorher fest? Einzige Reaktion: AHHHHHHHH !!

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Mit gemischten Gefühlen liefen die zwei Wochen entspannt ab. Zweimal war ich mit in Guayaquil, mal forschen wo die DVDs eigentlich herkommen – dieser riiiiiiiesige Schwarzmarkt! Das ist echt beeindruckend. Sonst habe ich abends oft im Zentrum verbracht, meiner Familie mit den Vorbereitungen für die Hochzeit geholfen, Abschiedsgeschenke vorbereitet und und und: Einen neuen Freiwilligen, den lieben Kevin begrüßt. Wie schnell vergeht die Zeit, ich bin doch auch gerade erst angekommen? Kam aus dem Flughafen raus, bin nach Playas gefahren, habe die Straßen kennengelernt. Hm, komisch.

Letztes Wochenende war mein letztes in Playas, in Ecuador. Am Samstag war erst noch ein Familiengeburtstag, wo zum Glück noch mal alle da waren. Danach war so etwas wie mein Abschied und wir haben uns mit allen Freunden noch mal im Zentrum getroffen und waren tanzen. Den nächsten Abend, war noch einmal so etwas wie ein Abschied, Montag noch mal vom Centro Intercultural und den Schülern verabschiedet (diese gleich an Kevin weiter vermittelt! Yeah, das Projekt geht weiter!!!) Und dann kam auch schon Dienstag, der stressige Tag. Und immer dieser Hintergedanke „Ich gehe hier jetzt echt das letzte Mal lang? Verstehe ich nicht.“
Koffer packen, Familien verabschiedet, Geschenke fertig machen. Dann das Abendessen mit der Familie um 20.30 Uhr – hora aleman! Und es hat sogar fast pünktlich angefangen und danach sind wir an den Strand gegangen und haben ein Lagerfeuer gemacht. Die Jungs haben eine Gitarre mitgenommen und alle haben gesungen. Ich saß einfach da, hörte die Musik, das Meer und habe genossen.

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Dann klingelt der Wecker. 8.00 Uhr. Was haben wir heute vor dem Flug noch zu tun? Ach, nur ne Hochzeit. Ich fragte mich, ob diese Hochzeit wirklich um 11 Uhr beginnt, oder ob sich selbst das Standesamt Zeit nimmt. Nein verdammt, es hat wirklich um elf Uhr angefangen und auf meinen letzten Tag war ich dann doch die jenige, die als letztes dazugestoßen ist, weil ich noch eine Schülerin gesucht habe, die ich noch nicht verabschiedet hatte.
Verabschieden, verabschieden, verabschieden… Es ist schwieriger, als ich gedacht habe. Ich gehe traurig, denn neben den 10.000 Kilometern hinterlasse ich auch Freundschaften, Erinnerungen und Familie, ohne zu wissen, wann ich eigentlich zurückkehren kann.

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Doch irgendwie bin ich auch zufrieden. Es ist das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, um sich Zeit zu nehmen, die Welt zu sehen und etwas Sinnvolles zu schaffen. Meine Pläne waren schwammig…Irgendwo nach Afrika, Gutes tun. Aber was mit Musik muss es sein.

Musiker ohne Grenzen, ja wo liegt denn Ecuador eigentlich genau? Südamerika, und was spricht man da? Spanisch. Ohne mir wirklich vorstellen zu können, worauf ich mich einlasse, festigten sich meine Pläne und dann kam der spontane Entschluss auf dem Vorbereitungsseminar. Ich wollte raus, was sehen, die Motivation aller anderen hatte mich gepackt, und so wurden aus vier Wochen acht Monate und hier vor Ort wurden aus acht Monaten neun. Jetzt liegt es an uns, die Motivation, die wir hier gewonnen haben, schon in zwei Wochen, beim Vorbereitungstreffen weiterzugeben.

Ja, so ist es nicht nur schwer, das Ecci-Leben hinter sich zu lassen, sondern auch, dass die Gruppe sich trennt. Krankenhausbesuche, Kulturschock, Liebeskummer, Gespräche, für die man andere nicht begeistern konnte…Auch wir haben viel gemeinsam durchgemacht und vor allem als Team gearbeitet und harmoniert.
So bin ich nach all den Umarmungen und Küsschen auf dem Weg zum Flughafen, mein Kopf ist aber eher leer und ich realisiere nicht, dass ich in weniger als 24 Stunden wieder in Deutschland sitze. Dann dieser Stress: „Krieg ich wirklich alles mit?“ – „Die Hängematte, bitte, bitte lasst mich diese Hängematte mitnehmen!“

Aber warum denn eigentlich Stress? Wir sind doch in Ecuador. Alles hat geklappt. Die Uhr zeigt 16.50 Uhr, Boarding 18.15 Uhr. Tick, Tack, Tick, Tack – da taucht noch John aus dem Guasmo aus, um mir Tschüss zu sagen. Tick, Tack, Tick, Tack- ich müsste wirklich bald los. Und wenn ich einfach nicht einsteige? Tick, Tack, Tick, Tack- überall Europäer um mich herum… Tick, Tack, Tick, Tack- Ich reiß mich zusammen. Wirklich, der Flug lässt sich keine Zeit, der hat nicht die ecuadorianische Mentalität. Zeit zu gehen. Ich verabschiede mich, wünsche meiner Familie noch ein schönes Hochzeitsfest und dann dreh ich mich um und denke mir nur noch: „Bald bin ich wieder da, darauf könnt ihr euch verlassen.“

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