So, 30. August 09
Heute ist der erste Tag, an dem ich tatsächlich die gefühlte Zeit und Ruhe hab, endlich auch mal ein paar der vielen Gedanken zu Papier zu bringen. Fast schon etwas spät vielleicht, aber es waren zu viele andere Dinge bis jetzt dran.
Es ist Sonntag, eine Woche vor Projektende. Knapp vier Tage vor den beiden Schülerkonzerten. Schon, wow. Endlich? Die letzten Wochen hab ich wohl beides so manches Mal gedacht.
Bevor sich mir nun wieder die Frage einschleicht was möchte ich denn eigentlich alles sagen und bevor ich mich an irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit halte, schreib ich einfach mal, was mir so in den Sinn kommt.
Nachdem die für heute Mittag angesetzte Chorprobe für das Konzert wegen etwas dürftiger Anwesenheit (Karolina und Vicky) ausfallen musste und Karolina und ich die Zeit für Gitarrenunterricht genutzt haben, hab ich nun anscheinend einen freien Nachmittag.
Kurz zuvor war ich mit Christoph, Sophia, den beiden zuverlässigen Mädels J und zwei anderen Schülern ein Eis essen. Lecker! Gemischte Gefühle, weil es sich noch immer komisch anfühlt mir hin und wieder mal einen Joghurt oder ein Eis zu kaufen mit dem Wissen, dass eine solch spontane Entscheidung für einige unserer Schüler undenkbar wäre. Dennoch genieße ich mein Eis, auch weil – so blöd es klingt – der Kauf eines Eises und dessen Verzehr einer der wenigen Momente des gewohnten Gefühls von Freiheit ist, entscheiden zu können, wann ich was in welcher Situation tun möchte, bin ich doch ständig unter Begleitung. Deutsche Freiheit? Ja, aus verschiedenen Gründen und auch Freiheit, die ein Erfülltsein oder Nichterfülltsein der Grundbedürfnisse voraussetzt, um darüber hinaus den Luxus zu besitzen, sich so scheinbar unwichtige Dinge wie ein Eis einfach kaufen zu können, wenn man eben gerade Lust darauf hat.
Nun liege ich auf „meinem“ Bett zu Hause bei meiner Gastfamilie. Vor dem Bett ist sogar eine kleine Mauer auf Kopfhöhe und ein weißer Duschvorhang mit pinken Kringeln, als Tür – ein lustiger Farbklecks zwischen den unverputzten Mauern.
Fast ein eigenes Zimmer also, was natürlich dem Gast angeboten wird. Ich freue mich riesig über diese kleine Oase mit einem Bett, einem Plastikstuhl und einer kleinen Holzkommode, auch wenn es mir am Anfang sehr unangenehm war, hab ich doch letztes Jahr auch mit Estella, meiner Gastschwester, ein Zimmer geteilt. Aber das ist eben die ecuadorianische Gastfreundlichkeit, wie ich sie in fast jedem Haus erlebe.
Dazu zwei Beispiele am Rande: Wenn man als Besuch übernachtet, wird einem wenn nötig das Ehebett angeboten und die Eltern schlafen im Zimmer ihrer Kinder auf dem Fußboden, wie im Nachbarhaus bei der fabelhaften Sra. Lupez geschehen, als wir mit einigen Schülern auf dem Land auf der Finca waren. Es als tatsächlich nicht nötig zu betonen hilft nichts und diskutieren wäre unhöflich.
Nachmittägliche Spaziergange durch den Guasmo, mit der Absicht mal ein paar Leute zu Hause zu besuchen, sind so spannend, lustig und herzlich, doch sie sind leider nicht für den täglichen Tagesplan zu empfehlen – dabei könnte man nämlich echt dick werden… J Überall wird einem Essen angeboten, weil man das hier so macht. Ist ja auch super nett. Wieder gilt meistens ablehnen wäre irgendwie unhöflich, also rein damit oder Besuche planen. 🙂 Jetzt wo ich manche Familien besser kenne, trau ich mich schon mal dankend abzulehnen, aber oft auch noch nicht. Soviel dazu. Hihi.
Mein Zimmer, ja, wohl einer der wenigen, wenn nicht der einzige Rückzugsort, an dem ich mal für kurze Zeit abschalten, „allein sein“ kann oder eben die doch oft sehr vorzüglichen Stunden des Schlafes nach einem langen Tag genießen kann. Ich muss schmunzeln, es ist vieles im ecuadorianischen Sinne zu verstehen und in den meisten Fällen irgendwie ganz anders als in Hamburg oder bei meiner Familie in Mittenwald. Nicht wertend gemeint, haben doch beide Kulturen und Lebensrhythmen ihre guten und schlechten Seiten. Aber natürlich fällt es mir am meisten auf, wenn ich müde und kaputt vom Unterrichten und dem vielen Dauerlärm bin. Denn meist läuft bei mindestens zwei bis drei Nachbarn deutlich hörbar Salsamusik, bis spät nachts versteht sich. (Obwohl es viel weniger und fast schon ruhig ist dieses Jahr, muss ich dazu sagen) Parallel dazu läuft immer der Fernseher meiner Familie, mit einigen Leuten und Baby sind auch Unterhaltungen ohne Zimmerdecke und Raumtrennung nicht zu überhören, Hunde bellen, Feuerwerkskörper werden täglich abgeschossen und hin und wieder fallen in all dem Gewühl, was manchmal so herrscht, leider auch Schüsse…
Auch in der Schule, bzw. dem Mi Cometa – Gebäude ist immer was los. Wenn acht Unterrichte von Trompete über Gitarre, Klavier, Klarinette bis zum Gesang oder Bass parallel laufen – man muss dazu sagen in einem Gebäude, das in fast allen, meist kahlen Räumen eine äußerst aufdringliche Akustik besitzt – kann man die Geräuschkulisse vielleicht erahnen.
Aber das sind ja auch alles Dinge, die dazu gehören und spannend sind hier – aber selbstverständlich sehne ich mich hin und wieder auch mal wieder nach gewohnter Ruhe. J
Meine Familie ist super. Sie besteht aus den beiden Eltern, drei Söhnen, wobei einer weitestgehend außerhalb wohnt und Estella, der Tochter, die gerade ein ca. vier Monate altes Baby hat. Die Kleine ist natürlich der Sonnenschein der Familie und alle lieben sie. Auch mein Gastbruder Enrique, der u.a. der Koordinator der Musikschule ist, gibt sich alle Mühe für das Baby ein wenig mitzuverdienen, da der Vater sich leider derzeit nicht kümmert, wie das hier so oft ist.
Enrique und ich haben letztes Jahr jeden Tag unfassbar viel Zeit miteinander verbracht. Da ich hier nicht alleine rumlaufen konnte und er gleichzeitig mein Schüler und eben Gastbruder und Freund war, hat es sich auch zwangsläufig so ergeben. Dadurch hab ich viel und schnell spanisch gelernt, da ich mich ja auch die ganze Zeit unterhalten wollte und musste. Wir haben sehr viel Spaß gehabt und ich glaube auch beide viel voneinander gelernt.
Dieses Jahr ist es anders, da er sehr viel zu tun hat. Das hat die Anfangszeit etwas schwieriger gemacht, weil wir uns wenig gesehen haben. Aber jetzt ist es viel besser und eigentlich wieder wie letztes Jahr und wir verstehen uns sehr gut und es ist super witzig.
Sonntagabend:
So, vorhin waren wir noch Fußballspielen mit den Eccis, das hat echt gut getan sich mal wieder zumindest ein wenig auspowern zu können. Gerade noch lecker gegessen und nun schlafen, damit es morgen losgehen kann.
Montag, 31. August 09
Puh, heute war’s anstrengend, sehr. Aber effektiv. Vorherzusehen, dass die Woche knackig wird, da nur noch drei Tage bis zu den Konzerten bleiben und mein Tag somit voll von Vorbereitungsstunden ist. Heute: Vormittags Reunion um zehn, danach Probe mit den Deutschen für unser Konzert bis fast um eins. Nach Hause, duschen, essen und dann von zwei bis halb sieben ohne Pause unterrichten. Pause, wieder ein Eis und eine Orange zur Entspannung. Heim und schnell essen, dann weiter zur Chorprobe. Nun noch gegen 15 hibbelige Jugendliche und weitere Geräuschkulisse von anderen Unterrichten ansingen und erklären und um Ruhe bitten. Mühsam, dennoch macht es viel Spaß und klappt erstaunlich gut im Vergleich zum letzten Jahr. Danach Gitarrenunterricht mit Karolina für ihr eigenes Stück. Anita kommt dazu, cool, sie will mit begleiten, perfekt. Anschließend noch ein Blick in die Bandprobe, läääuft, und ich kann nicht mehr, also mach ich kurze Pause, bis sowieso gleich Schluss ist, denn es ist mittlerweile viertel nach zehn.
Die Unterrichte haben viel Spaß gemacht, aber ich merke, dass ich viel gesungen und geredet hab, meine Stimme sagt mir deutlich, dass sie müde ist und heute Abend nach dem Unterricht nicht mehr mit allen ins Billard will zum schnacken, tanzen usw.
Spät, aber zufrieden und kaputt verlassen wir die Musikschule. Es gibt eine geplante Einladung einer Familie. Das ist immer sehr nett, okay, dann wenigstens ganz kurz… zum Glück hab ich den zeitigen Absprung geschafft.
Samstag, 04. September 09
Samstag, schon… Nun ist schon fast alles vorbei. Krass. Die Vorbereitungstage waren sehr effektiv, aber haben mich und uns alle glaube ich viel Energie gekostet. Vier Wochen sind eben doch auch eine kurze Zeit und dementsprechend mussten wir auch ganz schön ranklotzen mit acht Leuten, um den riesigen Haufen von Schülern vorzubereiten.
Donnerstag war das erste Schülerkonzert im deutsch-ecuadorianischen Kulturzentrum und gestern das Zweite in der Alianza Francesa. Ich war schwer beeindruckt, kann ich sagen! Es waren wundervolle Konzerte mit einer grandiosen Energie im Raum. Bei beiden Konzerten wohlgemerkt.
Dafür hab ich das alles gemacht, dafür und für viele schoene Momente mit meinen Schuelern in den Unterrichten. Zu sehen, wie viel Potenzial und Freude am Musikmachen in den Leuten steckt ist einfach schön. Und sie sind alle so viel besser und selbstbewusster geworden im Vergleich zum letzten Jahr, oder den Videos und Erzählungen von Maggi aus dem ersten Jahr. Gestern waren Leute vom Kulturministerium da, die das Projekt eventuell finanziell unterstützen auf Dauer. Das wäre natürlich riesig, aber bei den bürokratischen Wegen der politischen Liquidität soll man sich ja auch nicht zu früh freuen, also abwarten und erstmal selber fleißig sammeln.
Wir freuen uns anbei riesig über die zahlreichen Besuche auf unserer Internetseite! Das ist große Klasse. Nachdem wir hier einige Male von einem Fernsehsender gefilmt und interviewt wurden und im Fernsehen ausgestrahlt wurden, ist uns gestern beim Instrumententransport was lustiges passiert: Wir waren mit einigen Leuten auf der Ladefläche eines Camionetas, als wir zum Kulturzentrum gefahren sind. Kurz vor dem Ziel wurden wir dann von Polizisten aufgehalten, da man das offiziell eigentlich nicht darf, aber so ziemlich jeder macht es und natürlich mit möglichst vielen Leuten. Für einige ist das der Neben- oder Hauptverdienst ‚Taxi per Camioneta’ anzubieten. 🙂 Nunja, die Quintessenz war, dass sie uns gemütlich haben weiterziehen lassen, weil sie uns ja im Fernsehen gesehen hatten und uns, nunja… eigentlich fast kannten…Wir werden berühmt, hihi.
Heute Abend ist unser Konzert mit der deutschen Gruppe und anschließend große Feier. Wir hatten in den letzten Wochen kaum bis gar keine Zeit für uns selbst zu proben oder zu üben, deswegen hoffen wir heute Abend dennoch ein nettes, improvisiertes Konzert gestalten zu können. Aber so ist das ja oft bei uns MOGs mit Konzerten, da man auch in Deutschland meist noch tausend andere Baustellen nebenher hat. Also Daumen drücken und dann freue ich mich auf einen netten Abend im Anschluss und werde sicher noch einmal berichten.
Viele Grüße,
Katja