Hier kommt nun endlich der erste Blogeintrag aus Zhagal.
Es sind mittlerweile schon zweieinhalb Monate vergangen, seit wir drei Freiwillige in dem Dorf angekommen sind, dessen Namen wir zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht wussten. Ebenso wie ueberhaupt die ganze Reise in das Dorf ein riesiger Schritt ins Ungewisse war: Wo werden wir wohnen? Wo unterrichten? Wird es ueberhaupt Schueler geben?
Als wir schliesslich das Ortseingangsschild „Zhagal“ gesehen haben, waren wir da – in einem kleinen Dorf mitten im Gruen, umgeben von Bananen- und Orangenbaeumen. In den ersten Tagen kamen wir im Haus von Señora Lupita unter, auf deren Nachfrage das Projekt initiiert wurde. Bei ihr wurden wir aufs Koestlichste versorgt, doch schon bald wurde deutlich, dass wir bei ihr so wie bei vielen anderen Familien im Dorf, nicht dauerhaft wohnen koennen, da die ganze Familie auf den Fincas (Feldern) arbeitet und die Tagesablauefe von ihnen und uns Freiwilligen zu verschieden sind. Gluecklicherweise stellte uns Christian, ein ehrgeiziger Gitarrenschueler und fleissiger Kirchgaenger, seine Haushaelfte zur Verfuegung. Obwohl wir nicht zusammen mit seiner Familie in seinem Haus wohnen, fuehlen wir uns nach etlichen Ausfluegen, Einladungen und Ratschlaegen als Teil seiner Familie.
Auch unsere Nachbarn waren stets darum bemueht, unsere Anfangsschwierigkeiten, den Alltag im ecuadorianischen Campo zu meistern, zu beseitigen. Wir stellten uns derart simple, praktische Fragen wie z.B.: Wie kocht man Reis? Was kann man mit Verdes (Kochbananen) machen? Wo kaufen wir unsere Lebensmittel, wenn die Tiendas (Geschaefte) nur gelegentlich Tomaten haben und wir nicht gerade einen Sack Orangen geschenkt bekommen haben. Auf all diese recht merkwuerdigen Fragen unsererseits wurde mit Vergnuegen geantwortet. Ebenfalls hat man uns bei Krankheiten uns diversen Plagen mit ecuadorianischen Hausmittelchen versorgt und sich sehr um unser Wohlergehen gesorgt. Man probiere Oregano-Tee bei Magenerkrankungen und bei einer Flohplage koennen wir nun das Fluten des Fussbodens mit Benzin empfehlen.
Mittlerweile erweitert sich der Kreis unserer Goenner und Wohltaeter um einige Personen. So koennen wir uns gleucklich schaetzen, wenn fuer uns extra ein Huhn geschlachtet wird, wir nach Cuenca eingeladen werden oder einfach auf der Strasse ein Dutzend Bananen in die Hand gedrueckt bekommen.
Das Dorfleben besteht vorwiegend aus dem Arbeiten auf den Kakaofeldern von montags bis samstags und der Misa (Messe) am Wochenende. Ausserdem wird ab Samstag Mittag eine Musikanlage auf der Cancha (Dorfplatz) aufgebaut, die das ganze Dorf mit Cumbia beschallt und abends wird sich zum Fussballspielen getroffen. Nicht zu vergessen sind spontane Gespreache auf der Strasse oder in den Tiendas. Wenn man das Bezahlen vergisst, weil die Verkaeuferin sich lieber mit mir unterhaelt, als mir den Preis zu nennen, weiß man, man ist in Zhagal.
Das ganze Dorf strahlt zudem eine Gelassenheit aus. Am Wochenende sitzen die Leute stundenlang in ihren Haengematten und lauschen einfach den Haehnen, ohne irgendetwas zu tun. Was man nicht heute schafft, macht man eben morgen. Es ist egal, ob es regnet oder nicht, irgendwann scheint die Sonne schon wieder (anfaenglich hatten wir mit der fehlenden Wetterprognose unsere Probleme, weil wir nicht wussten, wann wir waschen sollen, damit die Waesche trocknet…). Diese Gelassenheit ist jedoch keineswegs zu verwechseln mit Langeweile. Wir sind staendig beschaeftigt, den Einladungen zu folgen, mit den Schuelern zu den Aguas Calientes zu gehen, uns in die Dorfgemeinschaft zu integrieren, indem wir zum theraupeutsichen Tanzen gehen und noch vieles mehr.
Einen Grossteil unserer Zeit nimmt natuerlich das Unterrichten ein. Wir fangen jeden Tag um 15 Uhr mit ca. 20 Kindern in der Klassenstunde an, in der wir singen, spielen und ein wenig Rhythmusuebungen machen und ein wenig Musiktheorie beibringen. Danach schliesst sich dann der Instrumentalunterricht an (Klavier, Gitarre, Geige, Floete, Cello). Abends kommen die Erwachsenen, mit denen wir, abgesehen vom Instrumentalunterricht, ebenfalls eine Klassenstunde machen und des weiteren Chor und eine Percussiongruppe anbieten. Anfaenglich hatten wir viel zu viele Schueler, die alles auf einmal lernen wollten. Mittlerweile konnten wir sie aber ueberzeugen, nur zwei oder drei Instrumente zu spielen und jeder Freiwillige hat ungefaehr 15 feste Schueler, wobei immer noch neue Schueler hinzukommen und die genaue Anzahl an Schuelern noch nicht eindeutig ist.
Die Klassenstunden sind mit Abstand der anstrengendste Teil des Tages, weil fuer diese viel Vorbereitungszeit notwendig ist. Da die Schueler mit englischen Texten arg zu kaempfen haben, dichten wir alle moeglichen Lieder auf Spanisch um und sind auch staendig gezwungen, uns fuer die Klassenstunde neue Dinge einfallen zu lassen. Die Kleingruppen-bzw. Einzelunterrichte bereiten viel Vergnuegen, weil die Schueler alle total motiviert sind. Staendig aendert man seinen Unterrichtsansatz und ueberlegt sich etwas Neues, weil man doch denkt, dass etwas anderes besser funktionieren wuerde, aendert dann aber auch diese Methodik schliesslich wieder… Die Schueler haben sogar eine Vorstellung davon, was sie lernen moechten, einige moechten gern Pasillos spielen lernen, andere moechten Kirchenlieder oder Balladen lernen.
In den vergangenen Wochen haben wir die ersten Konzerte veranstaltet, die gut besucht waren. Das erste Konzert war das Lehrerkonzert, wo wir Freiwillige klassische Musik praesentiert haben, um den Musikschuelern einen Eindruck von „unserer“ Musik zu geben. Die Leute haben angeregt zugehoert, aber in der zweiten Haelfte des Konzerts wurde es dann doch etwas unruhig, als heisser Kakao und Kekse verteilt wurden. Am Ende haben uns alle fuer das tolle Konzert gedankt, fanden aber den Pasillo, den wir als Zugabe gespielt haben, dann doch am besten. Eine Woche spaeter fand das Schuelerkonzert statt, bei dem ca. 30 Schueler aufgetreten sind und Lieder wie z.B. „Titanic“ oder „Freude schoener Goetterfunken“ gespielt haben. Der Renner war jedoch „Despues de ti“, Latinorock, das in drei Varianten aufgefuehrt wurde. Fuer uns Freiwillige war dieses Konzert sehr besonders, weil wir die Fortschritte unserer Schueler sehen konnten und uns das sehr stolz gemacht hat, was wir in zweieinhalb Monaten Arbeit erreicht haben.
Um unseren Erfolg zu feiern, veranstalteten wir mit den Schuelern ein „Comida Cultural“, ein Buffet, zu dem jeder etwas beisteuern sollte. Unsere Idee war, dass wir ein gemuetliches Beisammensein veranstalten, um auch die Eltern der Schueler naeher kennenzulernen. Die Gemuetlichkeit stellte sich aber als Utopie heraus, da das Essen innerhalb kuerzester Zeit verschlungen wurde und danach alle wieder nach Hause gegangen sind. Reden oder langsames Essen scheint hier geradezu verboten zu sein. Den Leuten hier ist das Essen zwar sehr wichtig, jedoch nicht die Art und Weise, wie man isst. Hier fehlt das Zelebrieren des Essens; die Hauptsache ist, dass man danach satt ist.
Nun in den Ferien, in denen wir unsere Kraefte sammeln und neue Ideen entwickeln, ist es Zeit, Bilanz zu ziehen: Wir sind sehr stolz auf unsere Schueler und gluecklich, dass alles so gut funktioniert (auch wenn es immer anders laeuft, als man denkt!), und dass wir uns in Zhagal zuhause fuehlen und angekommen sind, obwohl wir zwischendurch doch ueber Mosquitos fluchen.
Franziska